Philosophie
Verirren und Entwirren, Problem und Problemlösung, Fehlschläge, Konflikte und Konfliktbewältigung gehören zum Wesen des Menschen. Vom ersten Atemzug an müssen Menschen nach Wegen suchen, die sich ihnen stellenden Fragen und Probleme zu beantworten. Dazu brauchen sie von Anfang an und lebenslang einfühlsame Gegenüber und wohlwollende Beziehungen, in denen sich Vertrauen, feinfühliges Begleiten, klare Fragen und Antworten sowie behutsames Unterstützen in gegenseitiger Bewegung entwickeln. Aber: Wiederholt müssen Entwicklungen und Bewältigungsprozesse schief gehen, um neue oder alternative Lösungen zu finden.
Jeder Mensch ist anders. Jede psychotische Krise ist eine persönliche Erfahrung. Die Bereitschaft, Psychosen verstehen zu lernen, setzt die Erkenntnis voraus, dass das professionelle Wissen begrenzt ist.
Es gibt keine allgemein gültigen Regeln oder Rezepte im „Umgang mit Psychosen“. Psychoseseminare fördern ein menschliches Bild von psychotischem Erleben. Im Trialog ringen die Beteiligten um ein erfahrungsgestütztes, ganzheitliches, das heißt nicht nur bio-medizinisches Psychosen-Verständnis. Irren ist ein menschlicher Lösungsversuch.
Im trialogischen Austausch klären sich wechselseitige Zuschreibungen und Vorurteile. Psychoseseminare geben Anstöße für die Entwicklung einer dialogischen und trialogischen Hilfe- und Behandlungskultur. Grundlage ist eine gleichberechtigte, mehrperspektivische Beziehungsarbeit, die der individuellen Lebenssituation gerecht wird und den momentanen Bedürfnissen entgegenkommt: Was brauchen verstörte Menschen und ihren Angehörigen in konkreten, seelischen und sozialen Krisensituation und was fehlt ihnen? Was brauchen Experten durch Ausbildung und Beruf, um hilfreich zu sein und was fehlt ihnen dazu?
Gerade weil keine Veränderung gefordert ist, werden neue Entwicklungsschritte möglich (Therapie ohne Absicht). Gerade weil die Vertreter der drei Hauptgruppen nicht von einander abhängig und nicht für einander verantwortlich sind, kann die Perspektive des jeweils anderen näher rücken und zu mehr Verständnis beitragen (Familientherapie ohne Familie). Gerade weil Professionelle hier keine therapeutische Verantwortung tragen, können sie besser zuhören, sich und andere gelassener und vollständiger wahrnehmen, was im beruflichen Alltag hilfreich, dort aber schwer zu erlernen ist (dreifache Supervision ohne Kosten).
Psychoseseminare sind von der optimistischen Haltung getragen, dass es möglich ist, trotz Leid, Ohnmacht und Hilflosigkeit mit psychotischen Krisen zu leben, Psychosen als Stärke, als ein Ringen um neue innere und äußere Gleichgewichte zu verstehen und aus ihnen zu lernen.
Im Psychoseseminar verknüpfen sich Erzählen mit Zuhören, persönliche Begegnungen mit authentischen Lebensgeschichten, Toleranz mit Kritik und behutsame Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven. Berührungsängste zwischen Psychiatrieerfahrenen, Angehörigen und Professionellen werden geringer, soziale Rollen gleichberechtigter, Sichtweisen durchlässiger, Scham- und Schuldgefühle klarer und gegenseitiges Wohlwollen stärker. Aus Patienten und diagnostizierten Objekten werden handelnde Subjekte, aus ferngehaltenen Angehörigen werden Kooperationsbeteiligte, aus machtvoll verordnenden Professionellen werden lernende Verhandlungspartner.
Das Bild von seelischen Krisen und Verstörungen verändert sich in diesem Prozess. Jede Stimme gilt. Jedes Verständnis, jede Deutung der eigenen Erfahrung wird als Wahrheit akzeptiert. Befremdliches wird annehmbarer, Verrücktes macht Sinn. Psychotische Erfahrungen gehören zum Menschen. Im Trialog sind alle Beteiligten Experten in eigener Sache.