Trialog in der Praxis

Partizipation der Nutzer durch praxisbasierte Evidenz

Hildegard Wohlgemuth

Die psychiatrische Behandlungsarbeit stützt sich bisher – wie in der gesamten evidenzbasierten Medizin gefordert – auf eine evidenzbasierte Behandlungspraxis. Dies dem Ideal nach, denn im psychiatrischen Alltag wird eher pragmatisch vorgegangen. Diese Vorgehensweise wird ironisch als „eminenz-basierte“ Praxis beschrieben, da überwiegend Ärzte – meistens die „Chefs“ – das fachliche Sagen haben.

Evidenzbasierte Praxis beruht auf dem wissenschaftlichen Wirkungsnachweis von Behandlungen – überwiegend Medikamententherapien – der über Messung in klinischen Studien durch Vergleiche an behandelten und unbehandelten Gruppen in sog. „Doppelblindstudien“ ermittelt wird. Oft sind diese Studien trot aller Bemühungen selektiv und die Interpretationen interessensgeleitet.

Aus trialogischer Perspektive ist die herkömmliche evidenzbasierte Praxis zumindest zu ergänzen durch eine praxisbasierte Evidenz, an der Experten aus Erfahrung, aus Angehörigkeit und aus Beruf gleichberechtigt zusammenarbeiten. „Empirisch“ (i.e.S.) gesichert ist die Arbeit der Psychiatrie, wenn sie das Erfahrungswissen der Betroffenen und Angehörigen gleichwertig berücksichtigt.

Open Dialog

Vor allem jüngere Patienten profitieren von der trialogischen Idee der sogenannten bedürfnisangepassten Behandlung („need-adapted treatment“). Nach diesem skandinavischen Konzept der Erstbehandlung werden alle Beteiligten gleich zu Beginn nach Möglichkeit vor Ort an „Behandlungskonferenzen“ beteiligt, um Bedürfnisse und Entscheidungen transparent zu machen und der Entfremdung durch Diagnostik und Psychiatrie von Anfang an entgegenzuwirken. (www.offener-dialog.de)

Behandlungsvereinbarung

Weitere Entwicklungen zeugen ebenfalls von der Notwendigkeit – und zugleich von der Möglichkeit – die Begegnung aller Beteiligten auf Augenhöhe auch im psychiatrischen Alltag zu verwirklichen. Dazu gehören die sogenannten „Behandlungsvereinbarungen“, die im Bielefelder Trialog-Treffen entwickelt und in der dortigen Psychiatrie erfolgreich erprobt wurden: In stabilen Zeiten wird vereinbart, was für alle Beteiligten in Krisen gelten soll – eine vertrauensbildende Maßnahme, die hilft, Zwangsmaßnahmen deutlich zu reduzieren.

Die Bielefelder Behandlungsvereinbarung in der Version von 2019 können Sie als Vorlage und Anregung verwenden in Verbindung mit den Informationen zur Bielefelder Behandlungsvereinbarung.

Experienced Involvement (Ex-In)

Idee dieses EU-geförderten Projekts ist, das Verständnis von und die Begegnung mit Psychoseerfahrenen als „Experten“ weiter zu fördern und auch für die Psychiatrie und die psychosoziale Versorgung selbst nutzbar zu machen. Die speziellen Kurse informieren über Empowerment und Recovery und helfen, die eigenen Erfahrungen zu reflektieren und die eigenen Ressourcen zu mobilisieren. Zum Nutzen anderer Patienten/Erfahrener. (https://www.ex-in.de)